Kolumne - Meeresbrise
Die Nase entscheidet mit, findet unsere Redaktionsleiterin Yvonne Adamek, wenn es um ihre Lieblingsorte geht. Schließlich gibt es nur wenig, das einem so intensiv in Erinnerung bleibt wie der Geruch eines bestimmten Moments.
Neulich schaute ich mir mit meinen beiden Söhnen Herr der Ringe im Fernsehen an. Genau wie damals, als ich den Film zum ersten Mal sah, staunten beide Jungs über die Opulenz der Landschaft. Es dauerte ein Weilchen, bis sie mir glaubten, dass nichts davon computeranimiert war. Darüber entspann sich schließlich ein Gespräch über besondere Orte, das darin mündete, dass beide fragten: „Was ist für dich der schönste Ort, an dem du je warst?“ Nun, Superlative sind generell etwas heikel. Man wird gezwungen, all seine Erfahrungen durchzugehen und davon die schönste rauszupicken – und das kann und will ich nicht. Mir fielen außerdem sofort verschiedene Orte ein, allen voran die fast außerirdisch wirkende Vulkanlandschaft Islands, durch die ich einmal mit einer Freundin gewandert bin. Oder die Winterspaziergänge überm Deich in Gold auf Fehmarn, wenn ich mich dort einmal im Jahr mit meinen Freundinnen für unser Mädelswochenende treffe.
Zwei Orte in der Natur. Obwohl ich mich eher als Stadtmenschen bezeichnen würde, bezaubert mich die Natur in ihrer Vielfalt auf eine andere Art und Weise, wie es selbst die lebendigste Metropole nicht kann. Ich spüre dort, wie sich meine Lungen mit dem Duft der Landschaft füllen – mit dem freien Himmel, den Bäumen, den Pflanzen und den Steinen. Eine Stadt mag oft schön anzusehen sein, aber nur die Natur lässt sich so wunderbar einatmen. Darüber hatte ich vorher nie so nachgedacht. Doch plötzlich fielen mir noch viel mehr Düfte ein, die ich seit meiner Kindheit in meinem Gedächtnis eingespeichert hatte: der Geruch der Bäume vor dem Haus meiner Oma, der des Regens auf dem Schulweg, ja sogar den von frischen Kuhfladen, an denen ich früher als Kind auf den schier unendlich langen Wanderausflügen mit meinen Eltern vorbeistapfte. Heute denke ich gern daran zurück!
Ob man einen Ort als besonders schön empfindet, hängt also auch mit dem zusammen, was einem in Lunge und Nase dringt, während man sich am Anblick erfreut. Plötzlich wurde mir viel deutlicher bewusst, warum ich so gerne am Wochenende ans Meer und häufig sogar bis nach Fehmarn fahre. Natürlich kann man dort herrlich Spazieren gehen, Fischbrötchen essen und immer wieder meine Freundinnen treffen, aber gleichzeitig wird im Hinterkopf jedes Mal wieder dieser Film voller glücklicher Erinnerungen aktiviert. Und mit jedem neuen Besuch, mit jeder Nase voll Wind, Strand und Meer verlängere ich ihn um weitere Szenen, die ich abrufen und mir anschauen kann, wenn der Himmel mal grau, das Wetter kalt und ich vielleicht schlecht gelaunt bin, weil ich so lange nicht draußen war. Dann kann ich mich daran erinnern, wie die Landschaft meine Lungen füllt – und wie schön das ist.

Yvonne Adamek
Sie ist in ihrer Freizeit am liebsten draußen an der frischen Luft. Und natürlich gerne am Strand - am besten mit einem Buch auf dem Handtuch. Im Wasser ist es ihr einfach zu kalt.